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Olympia und noch viel mehr

von ESC-Planegg

NACHRUF - Sophie Kratzer, eine herausragende Eishockeyspielerin, die neugierig auf alles war

NACHRUF - Sophie Kratzer, eine herausragende Eishockeyspielerin, die neugierig auf alles war

Planegg – „In 20 Jahren möchte ich noch mal nach Sotschi, um zu schauen, was aus den Sportstätten geworden ist.“ Sophie Kratzer sagte dies 2014, nachdem sie von den Olympischen Winterspielen aus Russland zurückgekehrt war. Und sie hatte noch so viel mehr vor. Doch Anfang vergangener Woche ist die ehemalige Eishockey-Nationalspielerin und Ex-Spielerin des ESC Planegg gestorben. Sie wurde nur 30 Jahre alt.

Es würde Sophie Kratzer, die aus Velden im Landkreis Landshut stammt, nicht gerecht werden, sie nur auf Eishockey zu reduzieren. „Sie war musisch aktiv, hatte im Gymnasium Kunst als Leistungskurs und spielte Posaune in der Bigband. Fotografieren war ihre große Leidenschaft. Sie war politisch sehr interessiert“, sagt ihre Mutter Maxi Kratzer. „Aber natürlich war sie als Sportlerin bekannt – Sport spielte allein schon vom Zeitaufwand her eine große Rolle.“

Und sie hatte Talent, nicht nur im Eishockey. Als Neunjährige fragte sie Fußballtrainer Manfred Schellner vom TSV Velden, ob sie in der eishockeyfreien Zeit Fußball spielen dürfe – wie ihr Bruder Johann. Ein Mädchen in der Mannschaft – das war damals im ober-/niederbayerischen Grenzland nicht alltäglich. Doch dann wurde sie Torschützenkönigin und war schnell im Buben-Team integriert.

Im Schulskilager hatte sich Sophie für die schwächste Gruppe angemeldet, denn sie hatte kaum Praxis auf der Piste. Am Ende der Woche war sie in der ersten Gruppe. Sie tat sich offenbar recht leicht, weil das Schlittschuhfahren dem Skifahren doch sehr ähnlich ist. Denn Eislaufen konnte sie, seit sie mit vier Jahren am Weihnachtskurs des ESV Gebensbach teilgenommen hatte. Sophie kam an die Bande gefahren und fragte: „Mama, tätest du mir für zehn Mark einen Schläger kaufen. Einen Helm darf ich mir ausleihen. Und dann könnte ich im Skianzug Eishockey spielen.“ Das war die Idee von Nachwuchsleiter Alfred Irber, und Sophie fand das gut – und in Stefan Petermaier einen ruhigen und einfühlsamen Trainer, der sie in den folgenden Jahren behutsam förderte. Nach ihrem sportlichen Ziel gefragt, meinte der Knirps schon damals, und an dieses Zitat erinnert sich Petermaier ganz genau: „Wenn es möglich wäre, würde ich gern an Olympischen Spielen teilnehmen.“

Das Mädchen stürmte für Gebensbach, ab den Kleinschülern für den ESC Dorfen. Und mit 14 kam der ESC Planegg auf sie zu: Damen-Bundesliga. Eishockey-Reisen durch ganz Deutschland. „Zum Glück waren die Heimspiele in Grafing“, erzählen die drei Geschwister. „Das waren dann unsere Familienausflüge.“ Und sie freuten sich für die Erfolge ihrer Schwester, die mit den Pinguinen sieben Deutsche Meisterschaften holte. Parallel spielte sie bis zur Jugend bei den Jungs sowie in den DEB-Nachwuchsteams und schließlich in der Nationalmannschaft.

Über 150-mal lief Sophie Kratzer für das deutsche Team auf. Ihr größter Erfolg: Platz vier bei der WM in den USA im Jahr 2017. Sportlich wertete sie das stets höher als Rang sechs bei Olympia, das sie übrigens beinahe verpasst hätte, denn sie zog sich im Dezember 2013 ihren zweiten Kreuzbandriss zu, keine drei Monate vor den Spielen.

In Absprache mit ihren Eltern legte sie ihr Studium (Lehramt Deutsch, Sozialkunde, Geschichte) kurz auf Eis und arbeitete mit Unterstützung eines kleinen Münchner Orthopädie-Teams zielstrebig weiter. Mit Erfolg. Nationaltrainer Peter Kathan nahm seine stets zuverlässige Mittelstürmerin mit nach Sotschi.

Sophie Kratzer erklärte uns damals selbst, als sie aus Sotschi zurückkam. „Dabei sein ist alles? Das war vielleicht eine Zwischeneinstellung. Aber natürlich will man gewinnen.“ Und dann fügte sie hinzu: „Sonst schaffst du es erst gar nicht bis Olympia.“

Solche Sätze kamen bei Sophie Kratzer nie einfach so aus der Hüfte geschossen. Den Interviewer mit Plattitüden abzuspeisen – das war nicht ihre Art. Also ließ sie sich Zeit – zwei, drei, vier Sekunden – erst dann war sie bereit für eine Antwort: ruhig, höflich, aber bestimmt in der Sache und oft mit der Einladung an den Reporter, selbst nachzudenken. Olympia – das sei bei den TV-Übertragungen so groß. „Da gibt es Zeitlupen, jede Szene wird mit Musik untermalt. Aber wenn du selbst dabei bist, sind die Spiele wieder so klein, so nah, so normal.“

Sophie Kratzer machte sich immer ihr eigenes Bild. Deshalb setzte sie sich auch in den Bus und erkundete die Umgebung von Sotschi, bemerkte die Häuser rund um die Skisprungschanze, deren Türen einfach zugemauert worden waren. Sie besuchte ein Bergdorf und ließ den Anblick auf sich wirken: „Du stehst da auf dem Gipfel, siehst das Schwarze Meer und meinst, du kannst gleich losschwimmen.“

Abgehoben? Da würden jetzt wohl alle Teamkolleginnen vehement widersprechen. „Sophie war immer wichtig, ihre Mitspielerinnen zu motivieren“, erzählt Julia Zorn, Kapitänin der Nationalmannschaft und Teamkollegin in Planegg. „Sie hat ihnen Motivationskarten geschickt, die sie mit Liebe und Geduld gezeichnet und gebastelt hat.“ Und Zorn ergänzt: „Sophie hatte auch einige Freundinnen in der russischen Mannschaft.“ Daran habe sich auch nichts geändert, nachdem klar war, dass die Russinnen sie um einen großen Erfolg gebracht hatten.

Blenden wir noch mal zurück: Sotschi, 2014, erstes Spiel des Olympia-Turniers. Die DEB-Auswahl ist Außenseiter in der vollen Halle gegen das Team des Gastgebers, führt aber nach dem ersten Drittel 1:0. Nach der Pause kommen die Russinnen wie aufgedreht aus der Kabine. Das sehen alle, die daheim am Bildschirm sitzen und das Spiel verfolgen. Die Partie geht noch verloren. Später wird das russische Team disqualifiziert. Dieser Betrug gerade im olympischen System habe ihre Tochter enttäuscht, sagt Maxi Kratzer, „aber sie hat nie über die jungen Frauen geschimpft“, sondern sich ihre eigenen Gedanken über Doping gemacht. Und über viele andere Dinge.

Nach dem Staatsexamen fasste sie den Entschluss: Lehramt ist nicht das Richtige für sie. Deutsch, Geschichte, Sozialkunde – das war für sie alles spannend. Aber Sophie interessierte sich für noch viel mehr. Der erste Schritt: Sie arbeitete beim Deutschen Eishockeybund (DEB) bei der Organisation der Eishockey-WM der Herren in Köln und Paris mit, wobei ihr zugutekam, dass sie neben dem logistischen Talent auch Englisch, Italienisch und Französisch beherrschte. Ein Jahr später, im Oktober 2018, begann sie das Volontariat bei der Katholischen Journalistenschule. Sie recherchierte in Nordost-Indien, schrieb Reportagen für das Missio-Heft, unter anderem über Menschen, die dort für Cent-Beträge mit den bloßen Händen Kohle abbauen. Gemeinsam mit zwei Kollegen vom Missio-Verlag gewann sie 2019 den Alternativen Medienpreis mit einem multimedialen Dossier zum Thema Goldhandys.

Schon über ein Jahr zuvor hatte sie die erste Krebs-Diagnose erhalten. „Ich bin in Behandlung, die Ärzte nennen das lebensverlängernde Maßnahmen. Aber das sehe ich ein bisschen anders. Ich nehme das sportlich“, sagte Sophie Kratzer zu ihren Volontariatskollegen. Doch dieser niederträchtige Krebs ließ ihr keine Chance – nicht mal ihr, die sie mit ihrer Zielstrebigkeit und Zuversicht so viel aus ihren Begabungen gemacht hatte. Aufgegeben habe sie nie. Sie suchte immer nach Wegen, ihr Leben zu verbessern, machte immer noch viel Sport und wollte weiterleben.

Auch in den letzten Wochen habe es noch schöne Momente gegeben, zum Beispiel, wenn ihre beiden kleinen Nichten sie im Krankenhaus besuchten. Die Eltern, ihre drei Geschwister, ihre Lebensgefährtin Marie Heinz und deren Eltern begleiteten Sophie Kratzer bis an ihr viel zu frühes Ende.

Der Trauergottesdienst

mit anschließender Urnenbeisetzung beginnt am kommenden Samstag, 25. Januar, um 10 Uhr in der Pfarrkirche Mariä Himmelfahrt in Dorfen (Kreis Erding).

Autor:   Dieter  Priglmeir        Münchner Merkur   21.01.2020

Sophie Kratzer

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